Am 4.10.17 hat Innenminister Beuth im hessischen Landtag stolz die Eckpunkte des Entwurfs des neuen hessischen Verfassungsschutzes vorgestellt. Im Informationssystem des Landtags konnte ich den Entwurf des Textes leider nicht finden, den Reaktionen von SPD, FDP und Linken nach, war ich damit jedoch nicht alleine, statt der versprochenen Gesprächseinladung, lagen auch ihnen vor der Pressekonferenz keine Unterlagen vor.
Auf der Fraktionsseite von B90/Grüne findet er sich in der Pressemitteilung vom 4.10. versteckt. Immerhin.
Während ich mich noch durch den Text kämpfe, hat Juergen Erkmann ihn bereits kommentiert. Da Juergen keinen eigenen Blog betreibt und ich die Texte zu wichtig finde, um sie nur auf einer Mailingliste zu lassen, habe ich sie hier zusammengetragen. Teil 1 befasst sich mit dem Entwurf für ein Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen, der neben der Gefährdung der IT-Sicherheit durch den Hessentrojaner noch mehr zu bieten hat, Teil 2 mit dem Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes in Hessen (Verfassungsschutzkontrollgesetz) (ab Seite 20)
Moin zusammen,
der Text beinhaltet beide Gesetzgebungsinitiativen, also auch das sogenannte „Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes in Hessen“, sie sind der Einfachheit halber in Artikeln getrennt zusammengefasst worden.
Durch den ersten Teil bin ich grob nahezu durch, es fehlt noch die Recherche zu bestimmten Teilen des G-10 Gesetz, des dazugehörigen Hessischen Ausführungsgesetz, die betroffenen Paragraphen durch § 100b Strafprozessordnung, sowie einem guten Dutzend weiterer Paragraphen in unterschiedlichsten Gesetzen. Ist halt erst grob.
Schmankerl 1
Einen Satz möchte ich euch an dieser Stelle jedoch nicht vorenthalten, da er in meinen Augen symptomatisch für den Gesetzentwurf steht, der auch ansonsten im Wesentlichen grauenhaft ist.
§ 22 Informationsübermittlung durch das Landesamt an Stationierungsstreitkräfte und an ausländische öffentliche Stellen
(3) Soweit Informationen übermittelt werden, die mit Maßnahmen nach den §§ 7 oder 8 gewonnen wurden, gilt § 9 Abs. 1 entsprechend. Der Empfänger darf die Informationen nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt worden sind. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt sich vorbehält, Auskunft über die Verwendung der Daten zu verlangen.
§ 7 ist der verdeckte Einsatz zur Wohnraumüberwachung, § 8 ist der verdeckte Zugriff auf informationstechnische Systeme. § 9 (1) sagt aus, dass ein Richtervorbehalt notwendig ist, außer bei Gefahr im Verzug.
Nun stellen wir uns die NATO oder die NSA als Empfänger vor. Diese werden also darauf hingewiesen, dass die Daten nur für einen (mehr oder weniger) spezifischen Zweck verwendet werden dürfen und außerdem noch der letzte Halbsatz.
Ich stelle mir gerade die Übermittlung vor.
Liebe NSA,
anbei die Daten. Wir weisen darauf hin, dass diese nur zu Zweck a), b) und c) verwendet werden dürfen und behalten uns außerdem vor, Auskunft über die Verwendung der Daten zu verlangen.
Was ein Schenkelklopfer!
Die NSA wird da nichts dagegen haben. „Verlangen“ können die Deutschen schließlich, was sie wollen. Bekommen werden sie es nur nicht.
Schmankerl 2
Das Landesamt (für Verfassungsschutz) darf unter bestimmten, recht freizügigen – dazu schreibe ich später vielleicht noch was – Bedingungen Auskünfte bei öffentlichen Stellen und Dritten einholen.
In § 4 (4) steht dazu:
(4) Das Landesamt muss Ersuchen auf Auskunft oder Einsicht nicht begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. Über die Einsichtnahme nach Abs. 3 Satz 2 hat das Landesamt einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen. Der Nachweis ist gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten.
Wir halten also fest, dass allerspätestens nach knapp 2 Jahren, eventuell aber auch nach nur gut einem Jahr der Nachweis über eine Auskunft oder Einsicht gelöscht wird, insbesondere dessen Zweck.
Die gleiche Löschfrist trifft aber NICHT auf die erhobenen Daten (Auskünfte) zu. Hier reden wir von einer Überprüfung nach spätestens (also genau) 5 Jahren und einer Lösung nach 15 Jahren nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten „relevanten“ Information (§ 17 (6)).
Eine Überprüfung des Verlangens ist also bereits nach spätestens 2 Jahren nicht mehr möglich, da „freut“ sich jeder Untersuchungsausschuss.
Die gleiche Regelung findet sich auch noch an anderen Stellen. Ebenso wird an diversen Stellen die Regelungen des G-10 Gesetzes nochmals unterschritten insbesondere § 4 G-10.
Schmankerl 3
Gemäß § 19 sind Behörden, Gerichte hinsichtlich der dort geführten Register, sonstigen öffentlichen Stellen des Landes Hessen sowie Gemeinden, Gemeindeverbände und sonstigen der Aufsicht des Landes Hessen unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts verpflichtet, auch ohne Auskunftsersuchen, also quasi proaktiv, dem Landesamt sämtliche Informationen zuzuspielen, von denen sie glauben, dass es zur Auftragserfüllung des Landesamt zuträglich wären. Dessen ungeachtet sind sie auch zur Übermittlung verpflichtet, wenn das Landesamt „im Einzelfall“ eine Übermittlung für notwendig erachtet.
Hält die ersuchte Stelle, sagen wir also eine Gemeinde, das Verlangen nach Auskunft für unrechtmäßig, kann sie das dem Landesamt mitteilen. Besteht das Landesamt daraufhin jedoch auf die Übermittlung entscheidet die oberste Behörde der ersuchten Stelle. Im Falle der Polizei oder der Gemeinden wäre das? … Das Landesinnenministerium, was zufällig auch das zuständige Ministerium des Landesamts für Verfassungsschutz ist. Will da jemand Wetten abschließen, wie da die Entscheidungen ausfallen?
Schmankerl 4
Das Landesamt wird tätig bei unter anderem organisierter Kriminalität.
Diese wird in § 3 (2) wie folgt definiert:
Organisierte Kriminalität im Sinne dieses Gesetzes ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden
1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen,
2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder
3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft.
Kommen da nur bei mir Assoziationen mit zu 1. Deutsche Bank, VW und zu 3. Axel Springer Verlag (Volksverhetzung), Verfassungsschutz. Weitere Beispiele sind herzlich willkommen.
Schmankerl 5
Gemäß § 4 (3) gilt folgendes:
Liegen bei der betroffenen Person tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 2 Abs. 2 vor oder wird das Landesamt nach § 2 Abs. 3 tätig, darf es Auskünfte bei öffentlichen Stellen oder Dritten einholen, wenn die Daten
1. nicht aus allgemein zugänglichen Quellen,
2. nur mit übermäßigem Aufwand oder
3. nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. Würde durch die Erhebung von Auskünften nach Satz 1 der Zweck der Maßnahme gefährdet oder die betroffene Person unverhältnismäßig beeinträchtigt, darf das Landesamt Akten und Register öffentlicher Stellen einsehen. Im Übrigen gilt § 19.
Lassen wir den § 19, zu dem ich gleich komme, mal kurz außer Acht. Faktisch ist es so, dass im Vergleich zu einer einfachen, möglicherweise automatisierten Abfrage jegliche andere Anstrengung mit einem „übermäßigem Aufwand“ verbunden ist. Zudem ist es unverhältnismäßig einfach zu konstruieren, dass ansonsten eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme zum Tragen kommen könnte.
§ 19 manifestiert, wie bereits dokumentiert, die Verpflichtung der Behörden proaktiv tätig zu werden aufgrund der alleinigen Vermutung, dass eine Information zur Aufgabenerfüllung des Landesamts erforderlich wäre. Dabei muss zwar das Landesamt die zugespielten Informationen „unverzüglich“ prüfen und löschen, wenn die Prüfung ergibt, dass sie nicht erforderlich sind, jedoch kann es darauf verzichten, wenn „die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall dürfen die nicht erforderlichen Informationen nicht verwendet werden.
Ich frage mich gerade, wie ich mir das praktisch vorstellen soll, wenn Verfassungsschutzmitarbeitende auf Informationen zugreifen. Steht dann da: „Achtung! Diese Information ist zwar vorhanden, darf aber nicht genutzt werden.“? Steht das dann da auch (in deutscher Sprache?) bei der Übermittlung an ausländische Institutionen?
Vorläufiges Fazit
Dies ist ein Freifahrtschein, die dem hessischen Geheimdienst mit wenigen gelungenen Ausnahmen nahezu alles ermöglicht. Dass der richterliche Vorbehalt angesichts der massiven Überforderung der Gerichte ein Feigenblatt ist, brauchen wir wohl nicht zu diskutieren. Dem Richtervorbehalt werde ich mein Schmankerl 6 widmen.
Wie sich die Grünen zu einem solchen Entwurf hinreißen lassen konnten, ist mir persönlich ein Rätsel. Aber auch dass die CDU so überhaupt keine Lehren aus NSU gezogen hat, kann nur erschrecken.
Dabei habe ich mich mit den sogenannten parlamentarischen Kontrolle noch gar nicht auseinander gesetzt. Aufgrund des Tenors der Gesetzgebung im Artikel 1 erwarte ich jedoch das schlimmste und fürchte darin zumindest bestätigt, wenn nicht sogar übertroffen zu werden.
Schmankerl 6
Der Richtervorbehalt:
Dieser ist in § 9 geregelt für Verfahren nach §§ 7 und 8 (also Wohnraumüberwachung und Zugriff auf informationstechnische Systeme).
Zuständig ist demnach das Amtsgericht(!) Wiesbaden. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Juni 2017 (BGBl. I S. 1396), entsprechend; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen.
Ernsthaft?! Verfahren für Familiensachen und freiwilliger Gerichtsbarkeit bei einem Eingriff wider Artikel 10 und 13 und dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme? Ich würde schreiben „Respekt“ wenn ich solchen empfinden würde.
Nachberichtspflicht
§ 26 Nachberichtspflicht
Hier würde sich eine an sich sinnvolle, ja im Grunde genommen selbstverständliche Handlungsanweisung befinden:
„Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen“
Zumindest wäre das der Fall, wenn nach diesem Satz ein Punkt stehen würde. Leider befindet sich dort ein Komma und es wird wie folgt fortgefahren:
„, wenn dies zu einer anderen Bewertung der Daten führen könnte oder zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist.“
Man sollte vernünftigerweise annehmen, dass zumindest unrichtige Daten immer die schutzwürdigen Belange von Betroffenen tangieren. Nicht zuletzt deswegen sehen sowohl das BDSG als auch die DSGVO eine BerichtigungsPFLICHT vor. Aber wir befinden uns ja in den Sphären der Geheimdienste.
Besonders pikant ist daran, dass die Einschätzung, ob schutzwürdige Interessen betroffen sein könnten naturgemäß nur innerhalb des Landesamts (ggf. im Ministerium und nur in Ausnahmen durch das PKG-V oder die G-10 Kommission) geschehen kann, da Betroffene selbst ja in der Regel (und mit Einschränkung auch nachvollziehbarerweise) keinerlei Kenntnisse über die über sie gespeicherten Daten erlangen bzw erlangen können.
Unter dieser Prämisse ist eine derartige Einschränkung zumindest schwer nachvollziehbar.
„Tatsächlicher Anhaltspunkt“
Im gesamten Gesetzentwurf finden sich an 21 Stellen direkt und an weiteren Stellen indirekt ein Verweis auf „tatsächliche Anhaltspunkte“, die dem Landesamt erlauben, in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger einzugreifen.
Was sich zunächst nach einer angemessenen Hürde anhört, ist tatsächlich ein sehr niederschwelliges Hemmnis und ist nur unwesentlich über der reinen Vermutung und weit unterhalb eines strafrechtlichen Anfangsverdachts angesiedelt.
Vergl. hierzu: BVerfG, 14.07.1999 – 1 BvR 2226/94, 1 BvR 2420/95, 1 BvR 2437/95
Link: https://www.bverfg.de/
Tatsächlich darf bzw. muss das Landesamt nahezu unbegrenzt (§ 21) auch nachrichtendienstlich erhobene (personenbezogene) Daten an andere Behörden, darunter auch die Staatsanwaltschaft (§ 21 (2)) auf Grundlage dieses niedrigschwelligen Hemmnis weitergeben, wenn beispielsweise der Polizei der entsprechende Eingriff nur bei Erfüllung eines erheblich höherwertigem Erkenntnisstand erlaubt wäre und dies auch bereits bei strafrechtlichen Vergehen (§ 12 (2) StGB), also Taten die mit unter einem Jahr oder Geldstrafe bedroht sind. Dies hatte das BVerfG im oben genannten Urteil bereits beim G-10 Gesetz gerügt.
Da zudem auch noch der Richtervorbehalt auf ein einziges Amtsgericht mit zumindest räumlicher Nähe zum Landesamt beschränkt ist, sind doch erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit des Schutzes der verbrieften Grundrechte angebracht. Vielmehr ist zu befürchten, dass bestehende Grenzen unterminiert und faktisch aufgehoben werden.