Radentscheid Kassel – Diskussion in der StaVo

Notizen aus der 30. Sitzung des Stadtverordnetenversammlung, 8.04.19 (ohne Gewähr)

6. Bürgerbegehren zur Förderung des Radverkehrs im Gebiet der Stadt Kassel -Radentscheid Kassel

Vorlage des Magistrats

Die Vorlage wurde bereits im Ausschuss für Finanzen, Wirtschaft und Grundsatzfragen und im Ausschusses für Recht, Sicherheit, Integration und Gleichstellung besprochen.

Zunächst erhält eine der Initiatorinnen des Radentscheids das Wort. Sie betont, dass man schon viel erreicht habe, da das Thema jetzt prominent in der Öffentlichkeit und im Rathaus diskutiert werde. Um die Radinfrastruktur zu verbessern und wirklich messbare Ergebnisse zu erzielen brauche es aber sowohl mehr finanziellen Einsatz, als auch mehr Personal.

Der Zurückweisung stehe man kritisch gegenüber. Auch die Initiative habe den Radentscheid von einer Rechtsanwältin prüfen lassen, mit anderem Ergebnis. Eine gerichtliche Prüfung halte man sich offen. Unabhängig vom Radentscheid bestehe Reformbedarf in Hessen in Puncto direkte Demokratie. Das Gutachten des Rechtsamtes der Stadt falle im Vergleich zum Gutachten zum Radentscheid Darmstadt wenig wohlwollend aus. Beispiele:

  • die Kostenschätzungen der Stadt seien sehr hoch angesetzt, man habe besonders komplizierte Stellen als Grundlage für die Schätzung genommen.

  • Hauptstraßen seien in Darmstadt kein Problem gewesen

  • die Beschreibungen seien konkret genug. Der Begriff attraktiv sei in den Folgesätzen konkretisiert worden,

  • auch der Begriff Gehwegaufpflasterung sei hinreichend konkret.

In Frankfurt habe man ein zusätzliches Gutachten des Städtetags eingefordert, dies sei in Kassel unterblieben.

Die Anforderungen an ein Bürgerbegehren seien sehr hoch, man sei enttäuscht, dass der Magistrat die Vorlage zur Ablehnung des Radentscheid einbringe. Sie betont, dass hier eine gründliche Prüfung erfolgen solle, Termine, wie die EU-Wahl zur gemeinsamen Abstimmung stünden nicht an, es bestehe also kein Zeitdruck. Sie regt an, über diese Magistratsvorlage gemeinsam mit der Magistratsvorlage zur Förderung des Radverkehr abzustimmen, um dem Eindruck entgegen zu wirken, man lehne eine Verbesserung des Radverkehrs allgemein ab. Auch diese Magistratsvorlage müsse noch verbessert werden, daran arbeite man nach Abschluss der Gespräche mit den Fachämtern mit den Fraktionen.

Die SPD-Fraktion bedauert, dass der Radentscheid die rechtlichen Vorraussetzungen nicht erfülle, dies gelte für die inhaltliche Bestimmtheit, den Eingriff in die Obliegenheitspflichten des Oberbürgermeisters und den Deckungsvorschlag. Sie betont aber, dass die Bürger dennoch etwas davon hätten, ein Umdenken in der Verkehrspolitik finde statt. Die Gespräche mit der Initiative mit den zuständigen Stellen im Straßenverkehrsamt hülfen die Sicherheit im Radverkehr zu verbessern. Der VEP 2030 und das Radverkehrskonzept böten die Rahmenbedingungen, die Ideen der Initiative flössen in die konkreten Pläne mit ein. Man bitte die Initiative um Verständnis, dass nicht alles auf einmal umgesetzt werden könne und hofft auf weitere Gespräche mit der Initiative. Gemeinsam komme man zu besserem Radverkehr.

Die Fraktion B90/Grüne erläutert, man stehe Bürgerbegehren grundsätzlich positiv gegenüber, diese habe man als Grüne in der Landesregierung in Hessen erst möglich gemacht und durch Absenken des Quorums verbessert. Die Fraktion kritisiere den Ton der Magistratsvorlage. Das Erklären der Unzulässigkeit hätte gereicht, man müsse nicht von Zurückweisung sprechen, man teile auch die Auffassung, dass man einzelne Punkte hätte wohlwollender auslegen könnten. Letztlich reiche aber ein einziger unzulässiger Punkt um das gesamte Bürgerbegehren ablehnen zu müssen. Inhaltliche Änderungen seien nicht zulässig. Allein, dass 1 Punkt in die Zuständigkeit des Oberbürgermeisters als Ordnungsbehörde falle, mache die Zulässigkeit zunichte. Viele Parteifreunde hätten, trotz der kritischen Zulässigkeit, unterschrieben, weil sie das politische Signal wichtig gefunden hätten. Jetzt mache man mit der Entscheidung zur Unzulässigkeit den Weg frei für weitere Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs. Würde man das Bürgerbegehren jetzt für zulässig erachten, könne man bis ein Bürgerentscheid stattfinde, nichts mehr in der Richtung unternehmen, denn dann hätten die Bürgerinnen und Bürger das Verfahren an sich gerissen.

Die Fraktion Kasseler Linke betont, dass ungefähr 10% der Bevölkerung in Kassel ihre Zustimmung zu den acht Zielen des Radentscheids gegeben hätten, die eine konkrete, zeitnahe Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs fordern, nicht nur Konzepte auf Papier. Radverkehr könne nicht „nebenbei“ verbessert werden, es brauche eigenständige, konsequente Planungen, ausreichend Personal und Finanzierung. Der vorgelegte Entscheid sei in monatelanger Arbeit mit Verkehrsplanern und Fachverbänden, sowie anwaltlicher Beratung ausgearbeitet worden. Sie bedauert, dass ihr Wunsch, den auch die Initiatoren des Radentscheids geäußert haben, die Magistratsvorlage zu schieben, entgegen dem üblichen Verfahren, abgelehnt wurde. Einzelne Kritikpunkte seien nicht nachvollziehbar, z.B. was genau zu unbestimmt sei. Bei der Kostenschätzung stünden zwei Schätzungen gegenüber und beispielsweise werde bei den Abstellanlagen deutlich, wie der Magistrat gerechnet habe. (Für 1000 Abstellmöglichkeiten brauche es 500 Bügel, nicht 1000, und nicht für alle seien Überdachung gefordert worden, der Magistrat habe aber alle berechnet.) Die [geschobene] Magistratsvorlage zur Verbesserung des Radverkehrs sei derart schwammig, auch sie würde definitiv nicht den Anforderungen eines Bürgerbegehrens standhalten und an dessen Unzulässigkeit hege man Zweifel und werde deshalb auch der Vorlage nicht zustimmen.

Die Fraktion B90/Grüne möchte in ihrer Rede einen Ausblick bieten, was Grüne in der Verkehrspolitik erreichen wollen. Zunächst erklärt sie, dass die in der Vorlage des Magistrats vorgeschlagenen 500.000 deutlich zu wenig seien, man wolle sich darum kümmern, dass im nächsten Haushalt mehr eingestellt wird. Während Kopenhagen mehr als 40.- Euro pro Person für Radverkehr pro Jahr ausgebe, läge der Betrag in Kassel inkl. Fördergelder (laut Vorlage) bei unter 10.- Euro. Sie verweist auf den Kostenvergleich zwischen Radverkehr, Fußverkehr, motorisiertem Individualverkehr und ÖPNV anhand von kommunalen Haushalten von Dr. Sommer. Klar sei, dass die Verteilung sich deutlich in Richtung Rad und Fußverkehr verschieben müsse. Ihr schwebe eine Art Gütelabel für Rad und Fußfreundlichkeit der Kommunen vor, für Kassel wolle man A++. Die Stadt solle zu einer Toprunnerkommune für Radverkehr werden. Ob die Wilhelmshöherallee allerdings 1-spurig, wie von der SPD vorgeschlagen, werden solle, müsse erst noch besprochen werden. Das Radverkehrskonzept bilde eine gute Grundlage.

Der Oberbürgermeister ergreift das Wort um seine Mitarbeiter in der Verwaltung zu verteidigen. Man könne ja geteilter Meinung über die rechtliche Bewertung sein, eine perse bürgerbeteiligungsunfreundliche Einstellung dürfe man ihnen aber nicht unterstellen. Man arbeite dort nach bestem Wissen und Gewissen und halte sich an den rechtlichen Rahmen der Gemeindeordnung.

Die Fraktion FDP, Freie Wähler und Piraten dankt zunächst den Initiatoren des Radentscheids. Sie hätten mit ihrer Initiative schon jetzt entscheidend zur Verkehrswende in Kassel beigetragen, weit mehr als die Initiativen in der parlamentarischen Arbeit, die letzlich lediglich das kostenlose Parken von E-Autos auf den Weg gebracht hätten. Er bedauert, dass jetzt über die Unzulässig entschieden werde, ohne gleichzeitig konkrete Vorschläge für Verbesserungen im Radverkehr zu beschließen [geschobene Magistratsvorlage]. Bei der Kritik an der Einschätzung des Rechtsamts gebe es zwei Punkte, die man auf Landes- aber auch auf kommunaler Ebene besprechen müsse. Speziell eine genaue Kostenschätzung sei für Bürgerinitiativen nicht zu leisten. Selbst die Schätzungen der Stadt wichen bisweilen deutlich von den realen Kosten ab. Zudem fehle eine Beratung bezüglich der inhaltlich (nicht nur formalen) Anforderungen. Er verweist auf Frankfurt fragt mich, wo der Magistrat Einschätzungen zu Bürgereingaben abgibt.Auf freiwilliger Basis könne die Stadt das leisten, verboten sei es eben nicht. Wichtig sei eine ehrlicherer Umgang bezüglich Finanzierung, denn mit 500.000.- € beschränke sich die Möglichkeit der Stadt bezüglich Radwege auf gerade mal 200m im Jahr. Auch erinnert der Redner an einen Haushaltsantrag seiner Fraktion zur Bereitstellung von 1,5 Millionen, die mit Fördergeldern zusammen auf 4,5 Millionen gestiegen wären. Das sei leider abgelehnt worden. Klar sei, dass die 22.000 Unterzeichner entweder die direkten Maßnahmen aus dem Bürgerbegehren unterstützen, oder einen Bürgerentscheid wollen. Als Alternative habe man deshalb ein Vertreterbegehren eingebracht. Man sei offen für Änderungsvorschläge der anderen Fraktionen um bald einen Bürgerentscheid durchführen zu können.

Die CDU-Fraktion zeigt sich erheitert ob der Tatsache, dass die ein Mitglied der Fraktion B90/Grüne sich an die Spitze der Bewegung setzen wolle, das andere zwar wolle, aber wohl nicht könne […].Die politische Diskussion zum Thema finde aber an anderer Stelle statt, hier ginge es erstmal nur um die rechtliche Bewertung der Zulässigkeit und da sehe sich die CDU-Fraktion an den Rechtsrahmen gebunden und teile die Einschätzung des Magistrats. Wichtig sei, dass der Radverkehr zum Thema geworden sei. Man bedanke sich herzlich für die konstruktiven Gespräche mit der Initiative und werde diese auch gerne weiter führen. Was machbar und wünschenswert sei müsse gründlich abgewogen werden, man wolle keine neuen Probleme schaffen.

[Der Vorsteher ermahnt den Redner aufgrund der Formulierung]

Die Kasseler Linke merkt an, dass die Abstimmung nicht über Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Bürgerbehrens wäre, sondern ob man der Auffassung des Rechtsamt folge. Zweifel seien angebracht. Das Thema habe 3 Dimensionen. Zunächst müsse man sich die Frage stellen, wie man Verkehr in Anbetracht des Klimawandels gestalte, das erfordere radikale Änderungen, bei der der Autoverkehr weniger werden müsse. Die zweite sei die rechtliche Frage, ob die HGO eine Beratung verbiete, auch, wenn sie nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Das sei in der Bürgerversammlung nicht beantwortet worden, heute aber schon, es sei nicht verboten und drittens die Kostenschätzungen, da läge auch die Stadt bisweilen stark daneben (Mehrkosten Rathaus 11 Millionen)

Die AFD-Fraktion betont, sie stehe Bürgerbegehren grundsätzlich positiv gegenüber, sie sei aber irritiert hier zu hören, dass es hier intensiver Zusammenarbeit zwischen den Initiatoren und der Stadtverwaltung gegeben habe, der Magistrat aber dennoch das Bürgerbegehren als rechtlich unzulässig einstuft. Da wünsche man sich konstruktivere Zusammenarbeit. Einem rechtlich unzulässigen Entscheid könne man nicht zustimmen. Zu den Initiatoren: Die Ziele seien zwar klar in der Infobroschüre benannt(nicht aber auf dem Unterschriftenblatt), nicht aber wo der zusätzliche Verkehrsraum herkommen solle, und was das für Folgen für die Hauptverkehrswege mit Staus inklusive deren Umweltfolgen haben werde. Die Bevölkerung müsse voll umfassend informiert werden, da sehe die AfD noch Nachholbedarf.

Die SPD-Fraktion ergänzt, dass das Folgen der Einschätzung des Rechtsamts keine Böswilligkeit bedeute, sondern die Schwächen der Regelung in der HGO aufzeige. Er appelliert an die Landtagsabgeordneten den Auftrag der Verbesserung mit nach Wiesbaden zu nehmen und an die Stadtverordneten bei den Haushaltsberatungen daran zu denken genug Geld für eine Verbesserung des Radverkehrs bereitzustellen.

Bündnis90/Grüne wiederholt, dass es bei der Abstimmung über die Frage der Unzulässigkeit nur ein ganz oder gar nicht gäbe. Die Opposition hätte einen Antrag zur Zulässigkeit stellen müssen.

Zustimmung: SPD, B90/Grüne, Stv. Ernst, CDU, AfD(1), FDP+FW+Piraten (1)
Ablehnung: Kasseler Linke, FDP+FW+Piraten (3), Stv. Dr. Hoppe, AfD(4)

Damit ist die Vorlage des Magistrats angenommen und der Radentscheid für Unzulässig erklärt worden.