Die Diskussion um das Bürgerbegehren und den Standort war lang – entsprechend lang sind auch meine Notizen. Die Reden werden in ein paar Wochen im Informationssystem der Stadt Kassel nachhörbar sein. Da sich aber gerade hier der Politikstil in Kassel deutlich zeigt, sind mir ein paar Anmerkungen wichtig, die sich nur begrenzt aus den Reden ableiten lassen, auch, wenn die Kasseler Linke und auch WfK sie im Laufe der Diskussion ins Spiel gebracht haben.
Am 19.08.20 im Finanzausschuss wurde erstmals über die Magistratsvorlage 101.18.1786 diskutiert, und in dieser Sitzung gab es erstmals einen Änderungsantrag über den 2. Absatz der Magistratsvorlage. Der Oberbürgermeister intervenierte, dies sei so nicht zulässig. § 8b HGO wolle eine geschlossene Entscheidung, und der Magistrat müsse sich an die Verfahren halten. Es reiche also nicht zu entscheiden, dass das Bürgerbegehren zulässig sei, sondern man müsse auch einen Termin beschließen und die Frage definieren.
Das liest sich in dem HGO-Kommentar für mich etwas anders. Es wäre durchaus möglich gewesen, den Termin später festzulegen, um einen Entscheid zeitgleich mit der Kommunalwahl durchzuführen. Da sich ohnehin andeutete, dass der Sachantrag der Initiative unter den Stadtverordneten eine Mehrheit bekommen würde, ist dies wohl nicht von Bedeutung.
HGO-Kommentar 130:
[…]Da der Bürgerentscheid nach der Änderung des Gesetzes vom 20.12.2015, GVBI. I S. 618 nicht mehr unverzüglich nach der Zulassung durch die Gemeindevertretung durchzuführen ist 55 Abs. I Satz 2 KWG), kann man es jetzt auch als zulässig ansehen, erst in einer späteren Sitzung der Gemeindevertretung den Termin festzulegen.[…]
(Kommunalverfassungsrecht Hessen: Bennemann/ Daneke/ Steiß/ Teschke/ Unger/ Zabel/ Zahradnik/ Hilligardt/ Ruder/ Schön/ Schmidt)
Interessanter wird es imho bei Kommentar 131
HGO-Kommentar 131:
Weiterhin muss die Gemeindevertretung, wenn sie das Bürgerbegehren zum Bürgerentscheid zulässt, auch über ihre eigene Stellungnahme zum Gegenstand des Bürgerbegehrens befinden. Zwar wird bis zur Durchführung des Bürgerentscheides noch eine gewisse Zeit verstreichen, aber in die unverzüglich nach der Zulassung des Bürgerbegehrens vorzunehmende amtliche Bekanntmachung (wegen der dabei zu beachtenden Förmlichkeiten vgl. Rn. 12 zu 7 HGO) ist neben dem Text des Bürgerentscheides und dem Datum des Bürgerentscheides auch die von den Gemeindeorganen vertretene Auffassung aufzunehmen.[…]
(Kommunalverfassungsrecht Hessen: Bennemann/ Daneke/ Steiß/ Teschke/ Unger/ Zabel/ Zahradnik/ Hilligardt/ Ruder/ Schön/ Schmidt)
In Absatz 2 der Magistratsvorlage heißt es:
„2. Ein Sachbeschluss mit dem Inhalt des Bürgerbegehrens wird nicht gefasst. Insoweit verbleibt es bei dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 11. Mai 2020 –Vorlage Nr. 101.18.1512 -.
In der Begründung führt der Magistrat aus:
„Gemäß § 8b Abs. 4 S. 3 HGO entfällt der Bürgerentscheid, wenn die Gemeindevertretung die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahme beschließt. Von dieser Möglichkeit, einen Sachbeschluss mit dem Inhalt des Bürgerbegehrens zu treffen, wird kein Gebrauch gemacht, da sich der Sachverhalt im Vergleich zur Magistratsvorlage, die zu dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung am 11. Mai 2020 geführt hat, nicht geändert hat. „
Der Magistrat hat also gewissermaßen für die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, dass diese keinen erneuten Beschluss fasst, obwohl sich die Mehrheiten in der Stadtverordnetenversammlung geändert haben und absehbar war, dass damit der Entscheid obsolet wird?
Meiner bescheidenen Meinung nach hätte der Änderungsantrag von WfK, der noch einmal im Rechtsausschuss gestellt wurde, zwar die Magistratsvorlage, wie vom Stadtverordnetenvorsteher moniert, ins Gegenteil verkehrt, aber auch das Verfahren im Sinne der HGO geheilt.
Denn natürlich hat sich der Sachverhalt geändert. Am 11. Mai gab es noch kein zulässiges Bürgerbegehren.
So hat die SPD-Fraktion also noch am 20.08.20 dafür gestimmt, den Beschluss vom 11. Mai nicht aufzuheben um ihn dann am 31.08.20 selbst aufzuheben und als Retterin der Bürgerinteressen dazustehen.
Um vor dieser Situation nicht noch einmal zu stehen, hat man in der Stadtverordnetenversammlung einen recht lockeren Umgang mit der Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung gefunden. Denn dort ist festgelegt, dass Magistratsvorlagen vor Fraktionsanträgen abgestimmt werden.
(2) In die Tagesordnung I sind insbesondere die Anträge und Vorlagen aufzunehmen, die nicht in den Ausschüssen behandelt worden sind. Grundsätzlich sind Wahlen sowie Anträge des Magistrats und des Oberbürgermeisters bzw. der Oberbürgermeisterin vor allen anderen Anträgen entsprechend der Reihenfolge des Eingangs zu platzieren.
Tatsächlich kann ich mich auch nicht daran erinnern, dass vorher je ein Fraktionsantrag als weitergehender gegenüber einer Magistratsvorlage eingestuft und dann nicht vollständig abgestimmt wurde.
Dazu abschließend Kommentar 140 zu HGO § 8b, in dem die Reihenfolge noch einmal deutlicher skizziert wird:
6.2 Entscheidung über den Sachantrag
Wenn die Gemeindevertretung einen Bürgerentscheid über einen bestimmten Sachverhalt mit Sicherheit vermeiden will, dann bleibt ihr nur die Möglichkeit, einen Sachbeschluss zu fassen, der der Vorstellung des Bürgerbegehrens entspricht. Es muss aber beachtet werden, dass dieser Sachbeschluss erst dann erfolgen darf, wenn zuvor ein Beschluss über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens gefasst wurde. […]
(Kommunalverfassungsrecht Hessen: Bennemann/ Daneke/ Steiß/ Teschke/ Unger/ Zabel/ Zahradnik/ Hilligardt/ Ruder/ Schön/ Schmidt)
Bei mir bleiben viele Fragezeichen….
Und nicht nur bei der Standortsuche für das documenta-Institut steht man jetzt wieder am Anfang, auch die längst überfällige Entwicklung des Karlsplatzes rückt in weite Ferne.
Notizen Tagesordnungspunkten zum documenta-Institut Standort Parkplatz am Karlsplatz, bzw. dem Bürgerbegehren „Rettet den Karlsplatz“ in der Stadtverordnetenversammlung am 30.8.2020 (wie immer ohne Gewähr)
Der Stadtverordnetenvorsteher erklärt, er werde die Vorlagen 10, 11, 12 und 13 [die Vorlagen im Wortlaut finden sich am Ende dieses Textes] gemeinsam aufrufen. Die Änderung zur Magistratsvorlage der Fraktion WfK werde er nicht aufrufen. Sie sei nicht zulässig. Ein Änderungsantrag dürfe den Ursprungsantrag nicht ins Gegenteil verkehren. Erlaubt seien lediglich Erweiterungen, Ergänzungen oder Einschränkungen.
Zunächst spricht die SPD-Fraktion. Sie erklärt, die Stadtverordnetenversammlung trage eine kulturpolitische Verantwortung für die Weltmarke documenta und für das documenta-Institut, die SPD-Fraktion übernehme diese. Man wolle den Parkplatz nicht mehr mit dem documenta-Institut bebauen und stattdessen zeitnah einen neuen Standort suchen. Gemeinsam mit den Anliegern wolle man am Karlsplatz einen städtebaulichen Wettbewerb initiieren. Ideen – von Wohnbebauung über Stadtbücherei – seien schon vorhanden.
Für das documenta-Institut wolle man eine Hängepartie vermeiden. Bei einem Bürgerentscheid müsse man bis Dezember alle Planungen ruhen lassen, zudem sei der Ausgang offen. Sie warnt vor negativen Artikeln in nationaler und internationaler Presse, sollten sich die Bürger:innen gegen den Standort entscheiden. Selbst gehe er Pro-Karlsplatz aus, sei unter Umständen mit Klagen der Anwohner:innen zu rechnen. Die 6000 Unterschriften seien ein Zeichen direkter Demokratie. Die Befürworter:innen eines Bürgerentscheides hingegen würden den dadurch zum Ausdruck gebrachten Bürgerwillen verkennen und drückten sich vor der Entscheidung, für die sie 2016 gewählt worden seien. Die SPD-Fraktion betont, es gehe nicht um eine Intrige gegen den Stadtbaurat, es gehe vielmehr darum, eine Entscheidung noch einmal besser zu machen und Fehler zu vermeiden. Man wolle rechtzeitig einen Plan B, bevor marktpolitische Elemente die kulturpolitische Lage überschatteten. Sollte der SPD-Antrag angenommen werden, sei ein Bürgerentscheid obsolet. Den Änderungsantrag der CDU übernehme man.
Die CDU-Fraktion erklärt, sie sei die einzige Fraktion gewesen, die von Anfang an gegen den Karlsplatz als Standort gewesen sei und habe deshalb das Bürgerbegehren unterstützt. SPD, Grüne Und Linke hingegen hätten gegen das Bürgerbegehren opponiert und stellten mit der Forderung, jetzt einen Bürgerentscheid durchzuführen ihre bisherige Argumentation auf den Kopf. Die SPD habe lobenswerterweise ihre Meinung geändert. Wenn sich eine Mehrheit gegen den Stadtverordnetenbeschluss vom Mai findet, gebe es gemäß HGO keinen Grund mehr, das Verfahren aufrechtzuerhalten. Sie stellt ihren Änderungsantrag vor und hofft auf eine städtebauliche Lösung für den Karlsplatz, die auf breite Zustimmung stößt.
Ein weiterer Redner der CDU-Fraktion ergänzt, wie wichtig ein transparentes, offenes Verfahren mit Beteiligung der Anlieger und der Öffentlichkeit sei. Beteiligung und Transparenz seien immer Demokratie stärkend. Um Ärger mit den Anlieger:innen zu vermeiden, seien ergebnisoffene Gespräche nötig. Der Karlsplatz brauche mehr Licht, mehr Luft, mehr Bäume.
Die AfD-Fraktion erklärt, sie werde allen Anträgen zustimmen, die die Bebauung mit dem documenta-Institut auf dem Parkplatz zum Karlsplatz ablehnen. Einen städtebaulichen Wettbewerb, wie im SPD Antrag enthalten, lehne sie ab. Man wolle dort den Parkplatz, wie im Änderungsantrag erläutert, behalten.
Eine Vertreterin der Fraktion Kasseler Linke erklärt, sie habe sich nach dem jahrelangen Hin und Her im Mai zunächst gefreut, dass endlich ein Entschluss gefasst worden sei. Jetzt drehe man eine weitere Runde. Ihre Enttäuschung sei nicht als Kritik an dem Bürgerbegehren zu verstehen. Dieser sei ein legitimes Mittel, sich einzumischen und offensichtlich sei es im Mai nicht gelungen, eine Lösung zu finden, die auf breiten Füßen steht. Den Sinneswandel der SPD hinterfragt sie. Denn auch vor der Entscheidung im Mai und dem erfolgreichen Bürgerbegehren hätten 5000 Unterschriften der Initiative gegen die Bebauung vorgelegen, diese hätten aber offensichtlich nicht interessiert und Standortsuchen seien in Kassel ein Trauerspiel. Schon beim Obelisk habe es einen Alleingang des Oberbürgermeisters gegeben.
Ihr persönliches Interesse liege mehr bei Konzept und Vision, als beim Standort. Mit der Berufung des Gründungsdirektors könne die Arbeit beginnen. Bürgerbeteiligung und Transparenz gehörten genauso zur Standortsuche wie die Untersuchung im Vorfeld (17 Standorte). Jetzt sei es an der Zeit, dass die Bürger:innen durch einen Bürgerentscheid zu Wort kommen können und man wirklich einen Standort findet, der auf breitem Konsens beruht. Den bei SPD und CDU einsetzenden Lernprozess, Anlieger:innen mit einzubeziehen wünsche sie sich auch für den neuen Standort.
Ein weiterer Vertreter der Kasseler Linke betont, dass die Kasseler Linke zwar dieses Bürgerbegehren nicht aktiv unterstützt habe, das Instrument der Bürgerbeteiligung aber grundsätzlich unterstütze, wie man an anderen Beispielen auch sehe. Den Vorwurf das Bürgerbegehren sabotiert zu haben, weist er zurück. Der CDU und den beiden FDP Abgeordneten könne er keinen Vorwurf machen. Sie seien von Anfang an gegen die Bebauung des Parkplatzes am Karlsplatz mit dem documenta-Institut gewesen. Das Verhalten der SPD empfinde er aber als ärgerlich. Sie folge brav dem Zickzackkurs ihres Oberbürgermeisters und verkaufe dies jetzt als Bürgernähe. In ihrer Angst vor einer Niederlage sei sie unberechenbar, und für das documenta-Institut beginne jetzt eine neuerliche Hängepartie. Er fordert die SPD auf, ihren Antrag zurückzuziehen, sich einer breiten Diskussion in der Stadtgesellschaft und einem Bürgerentscheid zu stellen.
B90/Grüne erläutern zunächst die Zuständigkeiten. Gemeinsam habe man sich für das documenta-Institut entschieden, das Land sei inhaltlich verantwortlich, Bund und Land unterstützen den Bau eines Gebäudes finanziell. Kassel habe seinen Anteil in den Haushalt eingestellt und habe jetzt die Aufgabe den Standort festzulegen. Nach Auffassung der Grünen gehöre das documenta-Institut ins Herz der Stadt. Man halte am Parkplatz am Karlsplatz fest. Die Anwohner:innen hätten aufgrund ihrer Bedenken ein Bürgerbegehren angestoßen, damit alle abstimmen können. Das sei Demokratie. Es sei im Sinne der documenta, diesen Diskurs zu führen und die Bürger:innen entscheiden zu lassen. Wie auch schon die Kasseler Linke versteht, auch diese Rednerin das Agieren der SPD nicht. Die 22.000 Unterschriften zum Radentscheid hätten deutlich weniger Reaktion ausgelöst, und die Meinungsänderung der SPD sei rekordverdächtig schnell vor sich gegangen. Vor der Sommerpause habe man den Parkplatz am Karlsplatz noch gelobt. Nun stelle sich die Frage, wie es weitergehen soll. Über den Plan B des Oberbürgermeisters würde man gerne mehr erfahren. Sollte die documenta-Halle gemeint sein, so müsse man feststellen, dass dort erhebliche Fragen offen sein: Eigentumsrechte, Denkmalschutz, bauliche Umsetzung, Mehrkosten, Wegfall von Ausstellungsflächen. Man sei zu Gesprächen über Alternativen bereit, es müssten aber die Konsequenzen bedacht werden. Sie appelliert an die Stadtverordneten den Bürgerentscheid zuzulassen. Demokrat:innen könnten das aushalten, die documenta auch.
Die FDP sieht das Herz der Stadt nicht nur am Karlsplatz, sondern auch an der Torwache oder am Platz beim Regierungspräsidium. Die Initiatoren des Bürgerbegehrens hätten innerhalb von 6 Wochen die notwendigen Unterschriften gesammelt, dazu gratuliert der Redner. Er hätte sich schon im Dezember einen Beschluss für einen anderen Standort gewünscht. Zu Beginn sei die SPD entspannt gewesen, im Glauben, dass die Unterschriften nicht zusammenkommen, nun drehe sie sich wie ein Aal vom „Saulus zum Paulus“. Im Finanzausschuss habe es jüngst geheißen, man habe in die Stadtgesellschaft hineingehorcht und verstanden. Dieses Reinhorchen und Verstehen hätte man sich auch bei anderen Punkten, zum Beispiel der KVG-Liniennetzreform gewünscht, dann hätte man sich seit 2016 viele Diskussionen ersparen können. Es sei ein guter Tag für Kassel und für Bürgerbeteiligung. Man unterstütze nach wie vor das Begehren, da sich aber eine Mehrheit für die Aufhebung des Beschlusses vom Mai abzeichne, werde man gegen den Bürgerentscheid stimmen. Den Antrag der CDU und den geänderten SPD Antrag werde man mittragen. Auch den Antrag von WfK werde er mittragen, verstehe aber nicht, warum ein ehemaliges Mitglied der Rathaus-Koalition sich nicht viel früher intern gegen den Standort eingesetzt habe und stattdessen die Koalition habe platzen lassen. Damit hätte er der Stadt viel Zeit gespart. Er hofft, dass jetzt schnell eine geeignetere Lösung gefunden werden kann. Bezüglich Karlsplatz betont er, die FDP hinge nicht an jedem Parkplatz. Eine Neugestaltung mit viel Grün, Wasser und vielleicht einem Kinderspielplatz und mehr Familienfreundlichkeit könne er sich gut vorstellen.
Die Kasseler Linke meldet sich erneut zu Wort. Zunächst beglückwünscht sie die SPD dafür, dass sie offensichtlich glaube, die Haltung der Mehrheit der Menschen in Kassel zu kennen und deswegen auf den Bürgerentscheid verzichten zu können. Die SPD habe 3 Jahre Zeit gehabt, transparent und mit Bürgerbeteiligung den Bürger:innen einen Standort in der Stadt zu vermitteln. Daran sei sie gescheitert. Sich hier jetzt als bürgernah hinzustellen, sei schon dreist. Jetzt fange man wieder von vorne an. Zudem weist er auf eine Formalie hin. Der 2. Absatz in der Magistratsvorlage nehme einen Nichtbeschluss über die Sache vorweg. Dies sei ein formeller Fehler.
Die Fraktion WfK dankt zunächst den Initiatoren. Die Unterschriften seien aus allen Stadtteilen, nicht nur die Anwohner:innen stellten sich gegen den Standort. Auch dankt sie der SPD für ihr Umdenken, seit der Oberbürgermeister sein Sommerinterview gegeben habe – schon vor dem Bürgerbegehren hätten die 5000 Unterschriften zum Nachdenken anregen können, danach sei viel um die Zustimmung der Anlieger geworben worden, es bleibe unglaubwürdig. Den Grünen dankt der Redner für ihr Beharren auf dem Standort, das zeige Charakter, allerdings auch Engstirnigkeit. Jetzt sei man beim 3. Matchball, diesen müsse man jetzt verwandeln. Sie erinnert daran, dass die documenta-Halle damals, entgegen der Vorgaben in der Ausschreibung, auf die linke Seite gebaut wurde. Sie beantragt abschnittsweise Abstimmung des SPD-Antrags und den 1. Satz im CDU-Antrag separat abzustimmen.
Der Pirat erklärt, er habe das Gefühl die SPD handele nicht aus Verantwortung, sondern aus Angst. Angst vor Klagen, Angst vor dem Ergebnis eines Bürgerentscheides, Angst vor negativer Presse, Angst vor der Kommunalwahl. Erst vor etwas über 2 Monaten habe die SPD argumentiert, warum der Standort der geeignetste ist. Diese Argumente seien nicht widerlegt worden, stattdessen rede man über einen Plan B, den keiner kennt. Ihm sei unklar, was genau daran kulturpolitische Verantwortung sein soll. Die von Ihnen gewählten Dezernenten hätten in der Kultur- und Stadtgesellschaft lange über einen Standort diskutiert, das Bauamt habe intensiv geprüft.
Das Zeichen, das davon ausgehe, dass der Oberbürgermeister umfangreiche Planungsprozesse mal eben im Sommerinterview umwirft und einen Stadtverordnetenbeschluss einfach weggewischt, sei fatal. Wie soll Vertrauen in Beschlüsse der Stadtverordneten hergestellt werden, wenn diese gerade mal eine Halbwertzeit von 3 Monaten hätten?
Wichtig sei es jetzt, die Chancen zu sehen. Das documenta-Institut sei eng verbunden mit direkter Demokratie. Er verweist, wie auch schon im Finanzausschuss, auf Beuys und dessen Einsatz für direkte Demokratie. Würde sich die Stadt jetzt hinter direkte Demokratie stellen, und aus dem Bürgerbegehren einen Bürgerentscheid werden lassen, könne dies ein großer Erfolg werden. Wenn eine große deutsche Stadt ein großes Investitionsprojekt über einen Bürgerentscheid entscheiden ließe, dann sei dies ein großartiger Prozess. Egal wie der Entscheid ausfallen würde, würde dies die Strahlkraft der documenta und des Instituts deutlich verstärken. Die Betrachtung dieser Chance käme ihm in der Diskussion viel zu kurz, sie sei zu sehr von Gedanken an die Kommunalwahl gesteuert. Er hoffe, man könne im Interesse der documenta kurz verschnaufen. Er hätte die Vorlagen heute gerne geschoben, damit der Bürgerentscheid gemeinsam mit der Kommunalwahl stattfinden könne. Dies sei leider abgelehnt worden. Er und die Freie Wählerin stimmten der Durchführung eines Bürgerentscheides zu.
Ein Vertreter von B90/Grüne erklärt, er habe ursprünglich eine Rede vorbereitet, in der er die Argumente Pro Karlsplatz noch einmal erläutern wollte. Er merke aber, dass diese in der Debatte nicht im Mittelpunkt stünden. Von der SPD sei er enttäuscht. Die Innenstadtlage, die Nähe zu anderen Kulturstätten usw., all die Argumente hätten sich nicht geändert und es gebe auch keine neuen. Die SPD habe nicht ihre Meinung geändert, sondern sei umgefallen. Der Diskurs um den Standort sei immer offen geführt worden, auch sei gestritten worden. Dies gehöre zur documenta dazu. Es habe zwei Beteiligungsformate gegeben, Diskussionen in Gremien und letztlich den Beschluss in der Stadtverordnetenversammlung. Er empfinde es als absurd, dass die SPD hier ihren eigenen Beschluss wieder aufhebe. Dies zeige den internen Entscheidungsprozess der SPD: Der Oberbürgermeister treffe eine Entscheidung und plaudere sie aus, der Fraktionsgeschäftsführer und Fraktionsvorsitzende bringe die Fraktion auf Linie, und schon sage die SPD etwas anderes als noch vor ein paar Monaten. Nun bekunde ein SPD-Mitglied auf Facebook, dass er persönlich den Standort noch nie gut fand und die Mehrheit der SPD auch nicht. Schon da frage man sich, wie das sein könne. Da müssten ja alle Pressemitteilungen und Reden vorher gelogen gewesen sein. Zudem werde behauptet, man habe sich nur dem Koalitionszwang gebeugt. Die Koalition habe es bekanntlich aber seit Dezember schon nicht mehr gegeben. Absurd sei auch die Vorstellung, es ginge schneller, den Beschluss wieder aufzuheben und komplett von vorne zu beginnen, als auf das Ergebnis eines Bürgerentscheides zu warten.
Die AfD-Fraktion erklärt, es sei ein historischer Tag für Kassel – es sei ein Sieg der Vernunft, dass jetzt vom Karlsplatz abgewichen wurde. Das konservative bürgerliche Lager aus CDU, FDP und AfD habe den richtigen Riecher gehabt, da helfe auch alle Anti-AfD Rhetorik nicht. Das Bürgerbegehren zeige, dass sich Bürgerengagement lohnen würde. Zwar könne man auch im Entscheid abstimmen lassen, jedoch dränge die Zeit, der Magistrat müsse jetzt schnell handeln. Die Argumente gegen den Karlsplatz seien stichhaltig, und man habe Verantwortung gegenüber der Stadt und der documenta. Das Institut solle groß werden, weit größer als auf dem Karlsplatz je möglich gewesen wäre. Sie fordert den Magistrat auf, bei Bund und Land nachzuverhandeln und mehr Gelder einzuwerben. Die Position der Grünen sei durchschaubar, denen gehe es nur um die Vernichtung der Parkplätze.
Noch einmal meldet sich ein Vertreter der Grünen zu Wort. Er dankt den Initiatoren für ihre Arbeit. B90/Grüne seien grundsätzlich für die Stärkung von Elementen der direkten Demokratie. Man habe in den Gremien fachliche Entscheidung getroffen und den Standort geprüft. Die Anlieger:innen hätten ein Bürgerbegehren initiiert, der 2. Schritt sei nun der Bürgerentscheid. Sich im vorauseilenden Gehorsam zu unterwerfen sei ein Fehler. Minus und Minus ergebe nicht plus. Die Hängepartie bestehe jetzt weiter. Er erinnert daran, dass auch die Entscheidung für den Holländischen Platz von einem SPD-Oberbürgermeister, gemeinsam mit seinem Freund, dem Universitätdirektor, ausgegangen sei. Das sei die falsche Entscheidung gewesen. Die Herausforderung sei nun, die fachliche Situation zu bewerten und einen Standort zu finden. Die Zukunft bleibe unklar.
Der von einem Grünen angesprochene SPD-Vertreter beklagt, er fühle sich bei Facebook überwacht und verwahre sich des Vorwurfs der Lüge. Die SPD habe keine Angst und sei auch nicht umgefallen, sondern habe massive Bedenken gegen den Standort in der Bau- und Planungskommission sowie in weiteren internen Sitzungen geäußert. Darüber hätten sich Baurat und Stadtverordnete der Grünen beschwert. Die SPD sei von den Grünen unter Druck gesetzt worden. Sie hätten von Anfang an Bedenken gehabt, seien lernfähig und hätten jetzt zugehört. Er unterstellt, dass die Grünen offensichtlich das documenta-Institut, im Gegensatz zur SPD, nicht wollten. Zum Radentscheid erklärt er, der Verkehrsdezernent habe diesen hervorragend betreut und mit 66.000.000 € ausgestattet, so etwas hätten die Grünen bisher nicht hingekriegt. Trotz mehrerer intern geäußerter Bedenken Lügen zu unterstellen sei schlechter politische Stil. So etwas habe er in der Stadtverordnetenversammlung noch nicht erlebt. Der Vertreter der Grünen solle sich schämen. Die SPD zeige Charakter, man sei bereit, Fehler einzugestehen und wolle das documenta-Institut bauen. Er habe Vertrauen in den OB, dieser kriege das hin.
Eine Vertreterin der Grünen kontert, dass die ursprüngliche Magistratsvorlage des Verkehrsdezernats (SPD) nicht der Rede wert gewesen sei. Es sei die SPD gewesen, die zunächst auf der Bremse gestanden hätte. Ein weiterer Vertreter der Grünen merkt an, dass der Vertreter der SPD aus nicht-öffentlichen Sitzungen berichte und Behauptungen aufstelle, gegen die man nicht argumentieren könne, da hier Wort gegen Wort stehe. Er bekräftigt die Einschätzung, dass der SPD-Vertreter bezüglich interner Vorgänge gelogen habe.
Entgegen der üblichen Vorgehensweise, bei der Magistratsvorlage vor Fraktionsanträgen behandelt werden, ruft der Stadtverordnetenvorsteher (SPD) den geänderten Antrag der SPD als weitestgehenden Antrag zuerst auf.
Zunächst wird der Änderungsantrag der AfD zum SPD-Antrag mit Gegenstimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt
Der Änderungsantrag der CDU wurde übernommen. Der geänderte SPD-Antrag wird Abschnittsweise abgestimmt:
Abschnitt 1:
Zustimmung: SPD, CDU, AfD, FWP( 1:FDP),Kasseler Linke (1), WfK
Ablehnung: Kasseler Linke (6), B90/Grüne, FWP(2: Freie Wähler, Piraten)
Abschnitt 2:
Zustimmung: SPD, CDU, AfD, FWP(1), WfK
Ablehnung: Kasseler Linke (6), B90/Grüne, FWP(2)
Abschnitt 3:
Zustimmung: SPD, CDU, FWP(1),Kasseler Linke (2)
Ablehnung: Kasseler Linke (5), B90/Grüne, FWP(2), WfK
AfD (? Bitte der Niederschrift entnehmen)
Der Stadtverordnetenvorsteher erklärt, die Anträge der CDU und von WfK seien damit obsolet, ebenso wie die Punkte 2 und 3 der Magistratsvorlage.
Anschließend wird über Punkt 1 der Magistratsvorlage abgestimmt.
Zustimmung: einstimmig.
Anträge:
Top 10: Magistratsvorlage:
Die Stadtverordnetenversammlung wird gebeten, folgenden Beschluss zu fassen:
1. Das am 3. Juli 2020 eingereichte Bürgerbegehren „Rettet den Karlsplatz“ wird zugelassen.
2. Ein Sachbeschluss mit dem Inhalt des Bürgerbegehrens wird nicht gefasst. Insoweit verbleibt es bei dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 11. Mai 2020 –Vorlage Nr. 101.18.1512 -.
3. Am 6. Dezember 2020 wird ein Bürgerentscheid mit der Fragestellung durchgeführt: „Sind Sie dafür, den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Kassel vom 11. Mai 2020, Vorlage Nr. 101.18.1512 (Neubau eines documenta-Instituts) zur Bebauung der Oberen Karlsstraße (Parkplatz) mit dem documenta-Institut aufzuheben?
Änderungsantrag zur Magistratsvorlage der Fraktion WfK:
Die Stadtverordnetenversammlung wird gebeten, folgenden Beschluss zu fassen:
1. Das am 3. Juli 2020 eingereichte Bürgerbegehren „Rettet den Karlsplatz“ wird zugelassen.
2. Ein Sachbeschluss mit dem Inhalt des Bürgerbegehrens wird nicht gefasst. Insoweit verbleibt es bei dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 11. Mai 2020 –Vorlage Nr. 101.18.1512 -.
3. gestrichen
Die Stadtverordnetenversammlung wird gebeten, folgenden Beschluss zu fassen:
Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 11.05.2020, Neubau eines documenta-Instituts (101.18.1512), wird gemäß § 8b Abs. 4 Satz 3 HGO aufgehoben.
Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:
Der Magistrat wird aufgefordert, das documenta-Institut nicht auf dem Karlsplatz-Parkplatz zu bauen. Stattdessen soll das documenta-Institut an einem der verfügbaren Alternativstandorte wie z.B. auf der Parkfläche am Staatstheater (Du-Ry-Straße) oder hinter dem Ottoneum (Papinplatz) realisiert werden. Auch das Grundstück Wilhelmshöher Allee 2-4 ist in die Standortentscheidung mit einzubeziehen. Der Stadtverordnetenversammlung ist zeitnah ein entsprechender Realisierungsvorschlag zu unterbreiten
Die Stadtverordnetenversammlung wird gebeten, folgenden Beschluss zu fassen:
1. Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 11.Mai 2020, Neubau eines documenta-Instituts (Vorlagennummer 101.18.1512), wird aufgehoben.
2. Der Magistrat wird beauftragt, gemeinsam mit der documenta und Museum Fridericianum gGmbH der Stadtverordnetenversammlung einen durchführbaren alternativen Standortvorschlag für das documenta-Institut zu unterbreiten. Hierbei sollen auch jüngst in die Debatte eingebrachte Standortvorschläge untersucht werden.
3. Der Magistrat wird beauftragt, für den Parkplatz am Karlsplatz einen städtebaulichen Wettbewerb mit dem Ziel einer alternativen Nutzung/Bebauung durchzuführen.
Änderungsantrag AfD-Fraktion zum SPD-Antrag:
[…]
3. Der Magistrat wird beauftragt, für den Parkplatz am Karlsplatz einen städtebaulichen Wettbewerb mit dem Ziel einer alternativen Nutzung/Bebauung durchzuführen. den Parkplatz am Karlsplatz in eine ansprechende innerstädtische Oase mit Bäumen sowie mit Sitzbänken zum Verweilen und Erholen zu verwandeln, bei welcher mindestens 50 Prozent der derzeitigen Parkplätze erhalten bleiben.
Darüber hinaus sind bei den Planungen und der Umgestaltung des Parkplatzes die Anwohner sowie ansässigen Geschäftsleute miteinzubeziehen.
Änderungsantrag der CDU-Fraktion zum SPD-Antrag:
[…]
3. Der Magistrat wird beauftragt, für den Parkplatz am Karlsplatz einen städtebaulichen Wettbewerb mit dem Ziel einer alternativen Nutzung/Bebauung durchzuführen. Die für den Wettbewerb notwendigen konkreten Planungsziele sollen in einem offenen und transparenten Verfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit, insbesondere der Anlieger des Areals, erarbeitet und dann den städtischen Gremien zur Abstimmung vorgelegt werden.
Die Stadtverordnetenversammlung wird gebeten, folgenden Beschluss zu fassen:
1. Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 11.Mai 2020, Neubau eines documenta-Instituts (Vorlagennummer 101.18.1512), wird aufgehoben.
2. Der Magistrat wird beauftragt, gemeinsam mit der documenta und Museum Fridericianum gGmbH der Stadtverordnetenversammlung einen durchführbaren alternativen Standortvorschlag für das documenta-Institut zu unterbreiten. Hierbei sollen auch jüngst in die Debatte eingebrachte Standortvorschläge untersucht werden.
3. Der Magistrat wird beauftragt, für den Parkplatz am Karlsplatz einen alternativen städtebaulichen Wettbewerb mit dem Ziel Nutzung/Bebauung durchzuführen. Die für den Wettbewerb notwendigen konkreten Planungsziele sollen in einem offenen und transparenten Verfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit, insbesondere der Anlieger des Areals, erarbeitet und dann den städtischen Gremien zur Abstimmung vorgelegt werden.